Im Vergleich zu den klassischen, überwiegend privat genutzten sozialen Netzwerken wie Facebook, Instagram oder Twitter zeichnen sich insbesondere Xing und LinkedIn als Business-Netzwerke aus.
Hier steht die Vernetzung mit Geschäftspartner*innen, Kolleg*innen, Kund*innen und Lieferant*innen im Vordergrund. Xing wurde 2003 unter den Namen OpenBC (Open Business Club) als deutsches Unternehmen gegründet. 2006 erfolgte die Umbenennung in XING und 2019 in New Work SE. Hauptaktionär ist mit 50 Prozent die Burda Digital SE. Der Umsatz lag 2020 bei 277 Mio. Euro. Die 19 Mio. Mitglieder*innen werden von knapp 2.000 Mitarbeiter*innen betreut. LinkedIn hingegen ist ein amerikanisches Unternehmen und zählt aktuell 774 Mio. Mitglieder*innen, um die sich über 10.000 Mitarbeiter*innen kümmern. 2016 wurde das Unternehmen, das heute einen Jahresumsatz von gut 10 Mrd. US-Dollar (2020 ca. 8,1 Mrd. US $) generiert, von Microsoft übernommen.
Der größte Unterschied der beiden Netzwerke liegt in der Standortgebundenheit mit entsprechenden Implikationen für die Datenschutzbestimmungen. LinkedIn ist fast auf der ganzen Welt aktiv, Xing konzentriert sich auf die DACHRegion also Deutschland, Österreich und die Schweiz. Beide Anbieter ermöglichen es, Personen und Unternehmen zu folgen, Reaktionen und Beiträge zu hinterlassen sowie mediale Inhalte im Text-, Bild- und Videoformat zu veröffentlichen. Allerdings wirkt LinkedIn moderner, da der Feed sichtbarer ist und eher den in den sozialen privaten Netzwerken verwendeten entspricht. Bei der Nutzerstruktur spricht LinkedIn stärker die jüngere Zielgruppe mit Hochschulabschluss an.
Die professionelle Suche nach geeigneten Mitarbeiter*innen beinhaltet einen Instrumentenmix. Von großer Bedeutung ist dabei unverändert eine ausreichend gefüllte aktuelle Datenbank von potenziellen Kandidat*innen, strukturiert nach einer Vielzahl von Selektionskriterien. Aber auch der klassische Search mit Personenidentifikation über sämtliche medialen Zugänge, Online- und Offlineanzeigen sowie der telefonischen Ansprache spielen eine wichtige Rolle. Der Einsatz von Business-Netzwerken bei der Personalsuche hat allerdings deutlich zugenommen. Über alle Führungsebenen betrachtet, dürften diese Kanäle zwischenzeitlich bei der Neuidentifikation von geeigneten Mitarbeiter*innen die dominierende Rolle spielen. LinkedIn und Xing bieten hierzu zahlreiche Funktionen an, die sich für den/ die Recruiter*in in der Anwendung ähnlich gestalten. Kern sind die Möglichkeiten eines präzisen Targetings. Dies erlaubt eine genaue Zielgruppenselektion über Keywords wie Ausbildungshintergrund, Regionalität, Karrierestufe oder Tätigkeitsbereich. So führen Begriffe wie Haftpflichtspezialist, Schadenspezialist, Aktuar oder Anwendungsentwickler schnell zu einer Vielzahl von Treffern. Diese wiederum können über die in den Netzwerken abgelegten Lebensläufe vertieft und verifiziert werden sowie Basis für die Entscheidung einer Ansprache bilden. Dem/ der Recruiter*in bietet das erhebliche Möglichkeiten, schneller und zielgruppengenauer in Kontakt zu treten, als dies früher der Fall war.
Die Funktionalitäten des Targetings und der Ansprache lassen sich die Anbieter allerdings zunehmend deutlich vergüten. Professionelle Identifikation ist de facto nur mit speziellen Accounts wie dem Talentmanager von XING oder dem Corporate Account von LinkedIn möglich. Allein XING hat bei seinem Talentmanager die Preise von 2021 auf 2022 fast verdoppelt. Um hier auch künftig Sucherfolge zu vernünftigen Kosten zu generieren, bedarf es des Einsatzes erfahrener Recruiter*innen, die es verstehen, mit Suchbegriffen und deren Kombination – auch in der Verwendung der Sprache und der Abschätzung von Rücklaufwahrscheinlichkeiten – zu jonglieren. Der Trend zur Nutzung von Business-Netzwerken zur Unterstützung des Recruitings wird dadurch freilich kaum unterbrochen. Gerade die jüngere Generation, als „Digital Natives“ aufgewachsen, haben eine ausgeprägte Bindung zu sozialen Netzwerken. Sie wird aber auch immer anspruchsvoller, was die modernere Aufstellung von LinkedIn bevorzugen wird. Dem Recruiting aus den Unternehmen heraus bietet dies viele Möglichkeiten eines Employer Brandings und der subtilen, kaum merklichen Personalanwerbung.
Xing hingegen positioniert sich zunehmend als reine Karriereplattform, die wiederum den Online-Stellenportalen deutlich in die Quere kommen dürfte. Die Versicherungsbranche mit gerade einmal 200.000 sozialversicherungspflichtigen Angestellten spielt im Nutzerverhalten – was die absoluten Zahlen anbelangt – eher eine untergeordnete Rolle bei den Business-Netzwerken. Die weniger internationale Versicherungsbranche erlaubt über XING eine punktgenauere Ansprache zumindest bis ins mittlere Management. Der Trend zeigt trotzdem eine zunehmende Hinterlegung der Profile parallel auf beiden Plattformen. Nicht vergessen werden darf, dass in den Netzwerken natürlich nur die User gefunden werden können, die auch tatsächlich ihre Profile hinterlegen, was überraschend häufig nicht der Fall ist.
Bedeutung für das Recruiting auf Vorstands-und Leitungsebene
Noch stärker als bei Fachkräften und im mittleren Management gewinnt LinkedIn auf Vorstands- und der höheren Leitungsebene an Bedeutung. Nur darf hier die Absicht, für berufliche Veränderungen offen zu sein, nicht ganz so deutlich sichtbar werden. Die daraus resultierende Vernebelungstaktik geht aber teilweise soweit, dass der Recruiter*in eher zurückhaltend bei der Ansprache ist. Dies gilt insbesondere für Accounts von Vorständen, die aus beruflichen Gründen eine besondere Außenwirkung brauchen wie beispielsweise Vertriebsvorstände. Hier werden von den Kommunikationsabteilungen regelmäßig Beiträge und Videos veröffentlicht, geteilt und kommentiert, sodass bei realistischer Betrachtung schnell deutlich wird, dass der User hiermit wenig zu tun hat. Es sei denn, er würde sich die Hälfteseiner Arbeitszeit ausschließlich um soziale Netzwerke kümmern.
Eine Ansprache zur beruflichen Veränderung verläuft hier in der Regel ins Leere und verursacht im Zweifel nur Irritationen bei allen Beteiligten. Das gilt ebenfalls für Accounts mit wenig Bewegung. Die vermeintlich so verlockende leichtere Ansprache über soziale Medien an den Sekretariaten vorbei führt hier häufig nicht zum Erfolg. Das Vertrauen in die Diskretion in das World Wide Web ist bei Top-Führungskräften zudem weniger ausgeprägt, was sicherlich auch mit der dort vertretenen Generation zu tun hat und den Hinweisen von Personalchefs, die begeistert berichten, was sie über potenzielle Mitarbeiter*innen so alles im Netz außerhalb der Business-Netzwerke gefunden haben. Auch die inhaltliche Dimension birgt in der digitalen Welt nicht nur Vorteile. So sind Top-Führungskräfte in der Pflege ihrer Accounts nicht ganz so fleißig. Da bieten die aktuellen Pressemitteilungen der Unternehmen oder die dort teilweise hinterlegten Lebensläufe einen höheren Informationsgehalt. Hinzu kommt der ausgeprägte Wunsch bei dieser Zielgruppe nach dem persönlichen Austausch, der über ein Telefonat oder ein persönliches Treffen wesentlich leichter zu realisieren ist und auch der Bedeutung einer so weitreichenden beruflichen Entscheidung eher gerecht wird.
Optimierung des eigenen Profils in Business-Netzwerken
Die Optimierung des eigenen Profils auf Business-Netzwerken beinhaltet zahlreiche Möglichkeiten, was am Beispielvon LinkedIn aufgezeigt werden soll. Es mag profan klingen, aber es beginnt alles mit einem ansprechenden, der Arbeitswelt angemessenen Profilbild. Es prägt den ersten Eindruckund schafft Sympathien und löst die Anonymität auf. Dieses sollte möglichst so ausgerichtet sein, dass der Blick kommunikationsoffen in die Website reicht. Eine entscheidende Rolle spielt ebenfalls der unter dem Bild platzierte Slogan, der nur aus wenigen Zeichen besteht und der Türöffner für die Sichtbarkeit ist. Er sollte den Jobtitel, wesentliche Qualifikationen (z.B. Aktuar) und Alleinstellungsmerkmale enthalten. Die dortigen Angaben können deutlich bei der Selbstbeschreibung unter „Info“ sowie bei „Kenntnissen“ erweitert werden. Die Kompetenzen, Branchenerfahrungen und auch die Tätigkeiten, die länger zurückliegen oder spezifische Erfolge z.B. bei der Digitalisierung, Agilität oder Veränderungsbereitschaft ausweisen, werden so erfasst. Die Keywordsuche von Recruiter*innen erfährt eine breitere Basis. Dies gilt im Übrigen auch für die Rubriken „Berufserfahrung“ und „Ausbildung“, die stark einem tabellarischen Lebenslauf ähneln. Wichtig ist zudem die erweiterte Angabe von Kontaktdaten, die eine Kommunikation über das Netzwerk hinaus ermöglichen und eine diskretere Kommunikation erlauben. Zusätzliche Aufmerksamkeit kann ferner eine Aufwertung der Profilzusammenfassung durch das Hinzufügen von Videos, Links und Publikationen erfahren. Schließlich empfiehlt sich die Darstellung von Erfolgen, die für die Zielbranche und Wunschunternehmen von Bedeutung sein können. Das kann z.B. ein Mitschnitt eines öffentlich gehaltenen Vortrags zu einem bestimmten Thema sein. So ist für den/ die Recruiter*in zu erkennen, dass der User z.B. nicht nur den Begriff Digitalisierung kennt, sondern auch nachweisbare Erfolge bei der Implementierung vorweisen kann. In keinem Fall sollten Falschangaben gemacht werden. Diese sind in der digitalen Welt schnell entlarvt.
Business-Netzwerke können keine Karrierechancen garantieren, aber einen deutlichen Beitrag zu deren Verbesserung leisten. Die Sichtbarkeit ist enorm und das ist im heutigen Recruiting-Zeitalter wesentlich. Potenzielle Kandidat*innen müssen nicht mehr suchen, sondern sie werden gefunden. Dafür müssen sie allerdings aktiv sein. Ein Account, der in fünf Jahren zehn Kontakte generiert hat, verschwindet für die relevanten Zielgruppen in der Bedeutungslosigkeit, was genauso für veraltete oder geschönte Angaben gilt. Über Posts besteht die Möglichkeit, stärker im Feed seiner Follower aufzutauchen und somit die Reichweite zu erhöhen. Wichtig ist, der Gefolgschaft einen Mehrwert zu bieten. Dies gepaart mit Engagement in Gruppen oder Foren durch das Äußern eigener Standpunkte und Meinungen, ergänzt um fachliche Expertise, kann auch für den/die fachinteressierte/n Teilnehmer*in von Bedeutung sein, der so zunächst völlig ungeplant, auf eine/n potenzielle/n neue/n Mitarbeiter*in aufmerksam wird. Letztlich entscheidet neben dem Erzeugen von Aufmerksamkeit in sozialen Netzwerken und der Darstellung von fachlichen Skills insbesondere die Persönlichkeit von Menschen über die jeweiligen Karrierechancen. Eine Dimension, bei der die digitale Welt in ihrer Unterstützung noch in den Startlöchern steht.
Von Christian Schüssler, Partner beim ifp,
Experte für den Bereich Versicherungen und Non-Profit-Organisationen
Der Artikel wurde veröffentlicht im Magazin „Versicherungswirtschaft, Magazin für Führungskräfte und Entscheider“, Ausgabe Februar 2022